Herr Dr. Kampfmeyer, in wenigen Tagen öffnet wieder die DMS Expo ihre Pforten. Dank der großen Nachfrage nach DMS-Lösungen blickt die Branche derzeit optimistisch in die Zukunft. Worin sehen Sie die Herausforderungen für die DMS-Anbieter in den nächsten Jahren?
Viele Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen. DMS für Dokumentenmanagement ist längst nicht mehr der Fokus der Branche, man spricht heute von ECM (Enterprise Content Management) mit einer Vielzahl von Modulen und Funktionen. Neue Architekturansätze, zum Beispiel bedingt durch SOA (Service-Oriented Architecture) oder Web-2.0-Technologien haben die Produkte stark verändert. Große Anbieter treten hier mit vollständigen ECM-Suiten an.
Die großen Anbieter sind auch einer der Treiber des Konsolidierungsprozesses. Viele Standardsoftware-Anbieter sind in den Markt direkt oder indirekt eingetreten: SAP, Oracle, HP und Microsoft. Anbieter wie IBM, Open Text oder EMC, die derzeitige Führungsriege im weltweiten Markt, haben ebenfalls Anbieter und Produkte hinzugekauft. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die traditionellen mittelständischen Anbieter in Deutschland. Entscheidend für die Weiterentwicklung ist aber, dass ECM-Technologien immer mehr zur Infrastruktur werden. Als Dienste stehen sie allen Anwendungen zur Verfügung und ermöglichen eine übergreifende Erschließung aller Informationen im Unternehmen. Sie sehen also, es passiert sehr viel im Markt, der stark wächst, aber wo sich das Wachstum auf viele Anbieter verteilt. Hier gilt es dann auch für die ECM-Produkte Anschluss zu finden an weit verbreitete ERP wie SAP, Bürokommunikationslösungen wie Microsofts MOSS oder IBM Lotus, sich in Portale einzuklinken und sich unter neue Web-Lösungen zu positionieren.
IT-Dienstleister und Systemhäuser profitieren derzeit überproportional von der starken Nachfrage nach komplexen Lösungen zur Umstrukturierung und Optimierung der Unternehmens-IT. Eines der wichtigen Themen ist dabei auch Content- und Dokumenten-Management. Mit welchen Lösungen können Dienstleister am besten die Nachfrage seitens der Unternehmen erfüllen? Und welche Anforderungen sollten die Lösungen erfüllen?
Anwenderunternehmen widmen sich dem Thema Enterprise Content Management aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen ist das Thema Compliance, also die Erfüllung rechtlicher Vorgaben, sehr wichtig. Hier spielen E-Mail-Management, Records Management und elektronische Archivierung eine wichtige Rolle. Andere Anwenderunternehmen wollen wirtschaftlicher arbeiten und setzen daher auf Business Process Management und Workflow. Ziel ist hier die Durchgängigkeit und die Beschleunigung von Arbeitsabläufen zu erreichen. Wiederum andere Unternehmen versuchen sich, mit ihrer IT-Architektur und -strategie neu aufzustellen. Im Rahmen von Enterprise-Service-Bus- und Service-orientierter-Architekturen ist die Bereinigung vorhandener, aufwendig zu pflegender Heterogenität, die Ablösung alter Archivsysteme durch ILM Information Lifecycle Management und die übergreifende Nutzung von Informationen im Fokus zu nennen.
Viele ECM-Projekte kommen aber auch als Anhängsel zu Themen wie CRM, Produktdokumentation, Master-Data-Management, Intranet, Portale oder Bürokommunikation zu Tage. Bei den Systemintegratoren ist die Schaffung von Mehrwert durch Lösungen und Integration von ECM-Technologien in die bestehende IT-Infrastruktur von Bedeutung. Hier finden sich dann Lösungen wie Posteingangserfassung, elektronische Akte, Wissensmanagement oder andere mehr wieder. Merkmal der meisten Projekte ist es, das ECM als zusätzliche Infrastruktur zur fachlich orientierten Lösung gesehen wird.
Wie schätzen Sie das Potenzial für neue Entwicklungen beziehungsweise Ansätze wie Software as a Service (SaaS) oder On-Demand-Services für den DMS-Bereich ein? Was sollten Dienstleister und Systemhäuser bei der Umsetzung solcher Ansätze berücksichtigen?
Neben die traditionellen Produktangebote, die man selbst im Hause installiert und betreibt, treten immer mehr Alternativen. So ist es z.B. im Bereich der Archivierung bei Großkonzernen und Unternehmensverbünden schon seit Jahren üblich, Archiv- und Dokumentenmanagement zentral im Rechenzentrum zu betreiben. Dies kann man als Outsourcing oder auch als ASP bezeichnen, klingt aber natürlich nicht so modern wie die Lösungen, die uns heute unter Begriffen wie SaaS (Software as a Service) angedient werden. Das Prinzip ist das gleiche, die Technik an der Oberfläche durch Web 2.0 etwas anders, aber bei professionellen Anbietern ist immer ein Rechenzentrum im Hintergrund mit einer sicheren Hochleistungslösung.
Interessant sind vor dem Hintergrund neue Lösungsangebote, wo Workflow, Dokumentenmanagement und Archivierung im „Huckepack“ mitgeliefert werden. Ich denke hier zum Beispiel an SaaS-Projektmanagement- und Projektdokumentationsplattformen, aber auch die immer weiter ausgreifenden Angebote von Web-Riesen wie Google. Auch bei Google bekommen wir nicht mehr nur Ablageplatz für Bilder, Videos oder Texte, sondern auch sichere E-Mail-Speicherung sowie demnächst Records Management und revisionssichere Archivierung. Die Zielgruppen unterscheiden sich noch. Während Google immer noch den einzelnen Nutzer im Vordergrund sieht und erst langsam auf Enterprise-Angebote wie Search, Bilddatenbanken usw. setzt, ist im Fokus der meisten SaaS-Angebote das Unternehmen oder ein virtueller Zusammenschluss von Unternehmen, zum Beispiel eine Projektgemeinschaft.
Im traditionellen Outsourcing- und ASP-Geschäft geht es dagegen um stärker individualisierte Lösungen für dedizierte Geschäftskunden. Allein durch die unterschiedlichen Nutzergruppen und Nutzermodelle wird sich der SaaS-Markt sehr vielfältig aufstellen. Für Systemintegratoren, die von hausintern installierten Lösungen und der Integration in die vorhandene IT leben, ist SaaS eher ein Gegner. Es gibt jedoch eine eindeutige Schwelle – wem das standardisierte und nur wenig in die eigenen Lösungen direkt integrierbare SaaS-Angebot nicht gefällt und auf eine direkt eingebettete Lösung im Haus Wert legt, wird auch weiterhin Kunde der Systemhäuser bleiben.
Ein anderer aktueller Trend sind die Integration von Web-2.0-Technologien, wie Favoriten, Foren, Blogs, Wikis oder Markups, in interne Content-Management-Lösungen. Hier stellt sich die Frage nach dem Nutzen dieser Techniken für Anwender wie Unternehmen.
Alles wird 2.0. Die Marketingidee vom Web 2.0 wird überall aufgegriffen. Alles wird 2.0 – Handy 2.0, Knowledge Management 2.0, Enterprise 2.0, Ehefrau 2.0. Auch auf das Thema ECM hat 2.0 übergegriffen. So wurde im vergangenen Jahr eine neue Produktversion als ECM 2.0 angekündigt und ein anderer Anbieter hat gleich eine Veranstaltung ECM 2.0 genannt. Daher stellt sich die Frage, was ist dran an ECM 2.0 – einfach nur ein neuer Hype? Bereits seit einigen Jahren wird immer mehr Funktionalität, die Web-2.0-Anwendungen auszeichnet, in Enterprise-Content-Management-Produkte übernommen. Manches ist sinnvoll, anderes ist nur eine Oberflächlichkeit um modern zu wirken. Die ursprünglichen Ideen hinter Web 2.0 – user generated content und mehr Interaktion – spielen dabei kaum eine Rolle. In dem Maße wie ECM immer mehr als Infrastruktur in den Hintergrund der IT-Lösungen abdriftet, werden die Oberflächen zur Nutzung immer weniger wichtig. So gesehen ist ECM 2.0 ein Marketing-Hype. Richtig eigenständige neue Funktionalität aus der ECM-Branche heraus gibt es wenig. Es werden lediglich Trendfunktionen wie Blogs, Wikis, Foren, Social Software, RSS Feeds, Mashups, Folksonomy etc. aus dem Web 2.0-Umfeld adaptiert.
Die ECM-Produkte selbst haben sich in ihrer Architektur und internen Funktionsweise dadurch kaum verändert. Außerdem muss man feststellen, dass Web-2.0-Funktionalität mit Personalisierung, Individualisierung und speziellen For
maten für klassische ECM-Anwendungen wie die Archivierung eher Probleme bereitet denn Zusatznutzen stiftet. Dennoch kann sich die ECM-Branche nicht dem „2.0-Trend“ entziehen, sondern muss sich neu definieren. Die ultimative Lösung für alle Probleme des Informationsmanagements werden wir sowieso erst mit ECM 42.0 bekommen – frei nach Douglas Adams Hitchhikers Guide to the Galaxy steht die 42 für die ultimative Lösung auf alle Fragen.
Kommen wir noch auf ein anderes Thema zu sprechen: Compliance. Hierunter werden die sich stetig verändernden rechtlichen Anforderungen verstanden, die zusätzliche Anforderungen an die IT-Lösungen und Prozesse in den Anwenderunternehmen mit sich bringen. Welche Bedeutung hat das Thema für Sie?
Wir erleben den Wandel einer Welt, wo das Papier die Geschäftsprozesse dominierte, zu einer Welt, wo fast alle Tätigkeiten, Dokumente und Kommunikation nur noch elektronisch durchgeführt werden – von einer fassbaren in eine virtuelle Welt. Die Gesetzgebung wird diesem Wandel angepasst. Dies führt zu immer mehr regulativen und rechtlichen Vorgaben, die von den Systemen zu erfüllen sind. Keine Branche, weder die Privatwirtschaft noch die öffentliche Verwaltung noch andere Organisationen sind heute von den Vorgaben verschont. Wo alle Information zum geschäftlichen oder rechtlichen Handeln nur noch elektronisch vorliegt, passen die alten Regeln, die sich an Papier und Aktenordnern orientierten, nicht mehr.
Um Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Authentizität, Originalität, Richtigkeit, Vollständigkeit, Aktualität, Integrität und andere Compliance-Kriterien in der elektronischen Welt erfüllen zu können, sind wiederum elektronische Systeme notwendig, um dies auch tun können. Selbstdokumentation, Audit-Trails, elektronische Posteingangs- und Postausgangsbücher, Legal Hold, Aufbewahrungs- und Vernichtungsregeln, Schutz von Informationen und viele andere Anforderungen können nur mit Unterstützung entsprechender Enterprise-Content-, Records-, Dokumenten-, und Archiv-Management-Systeme erfüllt werden.
Worin liegt das Alleinstellungsmerkmal der Produkte und Leistungsangebote der Project Consult im Themenumfeld Compliance?
Project Consult ist eine auf die Themen Enterprise Content Management, Records Management, Wissensmanagement, Prozessmanagement und DRT (Document Related Technologies) spezialisierte Unternehmensberatung. Wir verkaufen keine Hard- und Software und führen auch keine Integration durch. Zusammen mit unseren Kunden, den Anwenderunternehmen, definieren wir die bestmögliche Lösung und unterstützen bei der Einführung. Die Erfüllung von rechtlichen Vorgaben ist dabei jedes Mal ein Thema. Governance, Risk Management und Compliance erfordern ganzheitliche Vorgehensweisen. Softwaresysteme müssen die Unternehmen dabei unterstützen, sie sind jedoch nur Bestandteil einer organisatorischen Lösung. Mensch, Organisation, Prozesse, Informationen, Kommunikation und Technik müssen sich dabei einem gemeinsamen Ziel unterordnen.
Systeme als Insellösung für einen isolierten Zweck, zum Beispiel eine reine E-Mail-Archivierung oder ein Archiv für GDPdU-Daten einzuführen, ist häufig nicht der richtige Weg und unwirtschaftlich. Es gilt eine ganzheitliche IT-Strategie zu entwickeln, bei der Enterprise Content Management die Infrastruktur darstellt, um auch Compliance-Anforderungen mit zu erfüllen. Im Vordergrund müssen aber immer der wirtschaftliche Nutzen und der Mehrwert durch durchgängige Prozesse, Vermeidung von Medienbrüchen und übergreifenden Zugriff auf alle Informationen stehen. Informationen müssen als Wissen und in Prozessen bereit gestellt werden und die Compliance-Anforderungen sind quasi nebenbei von den Systemen zu erfüllen.
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